Xenia Schiemann, Marlen Topp

Fokum eEvening Lecture Wintersemester 2022/2023

LIVE ONLINE EVENT // TUB-ZOOM

Xenia Schiemann, M.A., Berlin, und Dr. Marlen Topp, München, sprechen über:

Business as usual? Ostdeutsche Antiquitätenexporte auf dem westlichen Kunstmarkt

Abendvortrag in Kooperation mit dem Kolloquium des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, mit einer Einführung von Dr. Uwe Hartmann

Datum: 13/02/23, 18:15-19:45 h MEZ
Ort: TUB-Zoom

Links: Erster Auktionskatalog des Staatlichen Kunsthandels der DDR, Foto: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste; rechts: Werbefaltblatt der Kunst und Antiquitäten GmbH (Ausschnitt) © Stiftung Stadtmuseum Berlin

++Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 finden im Wintersemester 2022/2023 alle Veranstaltungen des Forums Kunst und Markt / Centre for Art Market Studies online statt.++

++Titel, Abstract und CV sind immer in der jeweiligen Vortragssprache wiedergegeben.++

Abstract: Im Jahre 1967 wandte sich der Stellvertreter des Ministers für Kultur der DDR Kurt Bork an den ostdeutschen Kulturfunktionär Alfred Kurella mit der Frage, „wer sich nach Ihrer Kenntnis der Lage auf diesem Gebiet möglicherweise für die Mitarbeit im Antiquitätenhandel eignen würde?“ Kurella antwortete:

Einen Kunstwissenschaftler zu nehmen, würde ich dringend abraten – hier braucht man mehr einen Spezialisten für den Antiquitätenhandel, der einerseits die sehr komplizierte Preisbildung auf dem internationalen Markt kennt und gleichzeitig eine Ahnung von den vielfachen Formen der Schiebung hat, die ja heute noch an der Tagesordnung sind. Wo man einen solchen Mann finden soll, der zugleich und vor allem ein zuverlässiger Sozialist ist, weiß ich wirklich nicht zu sagen.

Kurellas Antwort offenbart die Problemfelder des sozialistischen Antiquitätenhandels zu Zeiten des Kalten Krieges. Dennoch ist es der DDR trotz des Eisernen Vorhangs sowie der ideologischen und kulturpolitischen Gegensätze gelungen, einen regelmäßigen Export für Kunstgegenstände und Antiquitäten auf den Kunstmärkten im Westen zur Beschaffung der stets fehlenden und ökonomisch so notwendigen Devisen zu organisieren. Zwei Grundlagenforschungsprojekte in Berlin und München, die beide aus Mitteln des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste gefördert werden, beschäftigen sich aktuell mit den Mechanismen und Netzwerken der ostdeutschen Antiquitätengeschäfte im kapitalistischen Westen zu Zeiten des Kalten Krieges:

Das Kooperationsprojekt der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste untersucht kritische Provenienzen aus der SBZ und der DDR in den nichtstaatlichen Museen des Freistaates Bayern. Primäres Ziel ist es, die Ankaufspraxis westdeutscher bzw. bayerischer Händler und Museen zwischen 1945 und 1990 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR zu erschließen. Bislang fehlt eine Erforschung der diesbezüglichen konkreten Handelspartnerschaften, Motive und Sammlungsaktivitäten in den westdeutschen Bundesländern, die aber entscheidend ist für zukünftige, vertiefende Einzelfallforschungen. Im Vordergrund der ersten Phase der Studie stehen die Eruierung einschlägiger Quellen in den regionalen wie bundesweiten Archiven, die Sensibilisierung der (nichtstaatlichen) Museen für diese Thematik sowie die Vernetzung und Zusammenarbeit mit weiteren Forschungseinrichtungen zu diesem Schwerpunkt. Basierend auf der vom Bundesarchiv veröffentlichten Vertragspartnerliste der 1973 gegründeten „Kunst und Antiquitäten GmbH“ (KuA), auf der sich sowohl bayerische Museen als auch lokale Kunsthandlungen befinden, sollen Netzwerke, Akteur*innen sowie Mechanismen dieser Kunstgeschäfte herausgearbeitet werden.  

Das Kooperationsprojekt des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste mit dem Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin zu den  Geschäftsbeziehungen zwischen der Kunst und Antiquitäten GmbH der DDR und westlichen Auktionshäusern im Zeitraum von 1973 bis 1990: Mechanismen – Netzwerke – Objekte erforscht systematisch die Kunsthandelsaktivitäten dieses ostdeutschen Antiquitäten-Exporteurs mit westlichen Auktionshäusern im zeitlichen Rahmen von der Gründung der Kunst und Antiquitäten GmbH bis zu ihrer Auflösung kurz nach dem Mauerfall. Im Projekt werden die Strukturen und Mechanismen dieser Geschäftsbeziehungen sowie die Akteur*innen und Firmennetzwerke ermittelt. Es gilt darüber hinaus, Kulturgüter aus enteigneten ostdeutschen Privatsammlungen und musealen Beständen, die von der Kunst und Antiquitäten GmbH auf direkten bzw. indirekten Wegen an westliche Auktionshäuser eingeliefert wurden, zu identifizieren. Von Bedeutung hierfür ist ebenfalls die Untersuchung der Rezeption dieser Auktionen mit Kunstgegenständen aus der DDR in der Presse auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs.

Nach einer kurzen Einführung von Dr. Uwe Hartmann in den Forschungsbereich Kulturgutentziehungen in SBZ/DDR am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste werden in der Präsentation dieser beiden Kooperationsprojekte die Herausforderungen einer zunächst ergebnisoffenen Grundlagenforschung geschildert und zugleich die Vorteile eines engen wissenschaftlichen Austausches zwischen diesen Projekten aufgezeigt. 

Dr. Marlen Topp ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, seit 2020 im Bereich Provenienzforschung, zunächst zuständig für den NS-Erstcheck und seit 2021 in einem Kooperationsprojekt mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zur Untersuchung kritischer Provenienzen aus der SBZ und der DDR in den bayerischen nichtstaatlichen Museen. Zuvor promovierte sie an der TU Berlin im Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne bei Prof. Dr. Bénédicte Savoy über die französische Porzellanmanufaktur Sèvres während der deutschen Besetzung (1940–44) und der Nachkriegszeit. Ihr Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und Evangelischen Theologie an der TU Dresden und der Sorbonne-Paris IV schloss sie mit einer Magisterarbeit über die Rückkehr der Schatzkammer „Grünes Gewölbes“ aus der ehemaligen Sowjetunion und die Neueinrichtung im Albertinum ab. Danach war sie als Kuratorin am Porzellanikon – Staatliches Museum für Porzellan in Selb und Hohenberg a. d. Eger und für die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen tätig.

Xenia Schiemann studierte Germanistik und Anglistik an der Orenburger Staatlichen Pädagogischen Universität, Kunst- und Bildgeschichte sowie Italianistik an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Kunstwissenschaft an der University of Edinburgh und der Technischen Universität Berlin. An letzterer schloss sie 2019 ihr Masterstudium mit einer Arbeit zum Kunsthandel zwischen Ost und West zu Zeiten des Kalten Krieges: Die Kunst und Antiquitäten GmbH der DDR und das Londoner Auktionshaus Christie’s ab. Von 2017 bis 2019 wirkte sie als studentische Hilfskraft am Forum Kunst und Markt / Centre for Art Market Studies der TU Berlin mit. Seit 2020 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin und forscht in einem Kooperationsprojekt mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zu Auktionsgeschäften der Kunst und Antiquitäten GmbH der DDR auf dem westlichen Kunstmarkt. Geplant wird von ihr ein Dissertationsvorhaben zu ostdeutschen Kunstexporten auf den Kunstmärkten in den USA und Australien.

zurück